Underachiever – eine irreführende Bezeichnung

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Smart? Smarting? Hochbegabte Problemkinder sind nur zum Teil auch Underachiever

Hochbegabte Problemkinder werden im Fachjargon meist als Underachiever bezeichnet. Völlig falsch, denn viele von ihnen haben noch lange nach Beginn der Störungsentwicklung gute Leistungen. Fast immer steht am Anfang nicht der Leistungseinbruch, sondern die Unterrichtsverdrossenheit und auffälliges Verhalten, entweder oppositionell oder resignativ eingefärbt. Das Gemeinsame an hochbegabten Problemkindern ist die schlechte Befindlichkeit. Sowohl in der Familie, die die Störungsentwicklung anhalten will, als auch in der Schule, die von dem Kind das Regelverhalten einfordert, geht es den Kindern schlecht.

Hochbegabte Kinder werden manchmal als Smart Kids bezeichnet, in Deutschland wohl aus den USA übernommen. Das Adjektiv smart hat in der Wortbedeutung neben “helle”, “ausgeschlafen” auch “pfiffig”, “raffiniert”. Gemeint sind also von der Sprache her die Kinder, denen es gut geht. Das Verb “to smart” dagegen enthält “Leiden”, auch Leiden unter Kritik oder Mobbing *. Wir schlagen daher vor, die hochbegabten Problemkinder mit Bezug auf die gemeinsame Symptomatik als “Smarting Kids” zu bezeichnen und den irreführenden Ausdruck “Underachiver” zu meiden. Der wesentliche Gewinn bestünde darin, dass nicht die erwartungswidrige schwache Leistung das Zuordnungskriterium wäre, sondern die schlechte Befindlichkeit der Kinder.

* Da die Wortbedeutung in Deutschland ungewohnt ist, nachfolgend einige Belegstellen.

In: The Wordsworth Dictionary of English Usage: to feel annoyed, resentful after being insulted. He is still smarting from your remarks.

In: Großes Wörterbuch Englisch – Deutsch (Buch und Zeit 1985): She was still smarting under the injustice.

In:http://www.thefreedictionary.com/smarting:  To suffer acutely, as from mental distress, wounded feelings, or remorse. – Sharp mental or physical pain

In: http://www.linguee.de/englisch-deutsch/uebersetzung/smarting+from.html: the smarting memories from the Second World War – He was still smarting from his failure to win the Prix.

 

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11 Kommentare… Share your views

  1. Ich kenne dieses Wort nur aus der Wirtschaft, wo Underarchiever einfach nur “Minderleister” meint. Es steht nicht unbedingt in einem weiteren zeitl.Kontext, sondern beschreibt nur die Wahrnehmung als “Minderleister”, und das in Beziehung zu Leistungsnormen oder anderen im Umfeld (Arbeit, vllt. Schule, ….). Natürlich ensteht die Wahrnehmung über einen längeren Zeitraum, und natürlich sind Minderleister nicht unbedingt immer und überall Minderleister gewesen. Sind sind es halt “jetzt”.
    Natürlich klingt “smart” wesentlich angehnehmer.
    Allerdings ist auch in der Wirtschaft “smart” auch gelegentlich mit negativen Attributen behaftet, wie egozentrisch, rücksichtslos oder eher neutralen Attributen wie zielorientiert, effektiv. In dem Zusammenhang als Tipp: nie das Wort “Smarties” für eine Gruppe verwenden, auch wenn es auf der Zunge liegt, dass sind die eher egonzentrisch, rücksichtslosen Zeitgenossen. Menschen, die kurzfristig Erfolg haben werden, bis diese gegen eine Wand prallen (oft auch von Zeitgenossen absichtlich aufgestellt…)
    Vielleicht wäre “Potentials” auch ganz nett ?
    Siehe auch Leo : http://dict.leo.org/ende?lp=ende&lang=de&searchLoc=0&cmpType=relaxed&sectHdr=on&spellToler=&search=potentials
    Leo kennt “smarting” nicht.
    Smart Potentials ?

    • Danke für diesen Beitrag, der noch einmal zur Präzisierung des Vorschlag “Smarting Kids” herausfordert. Wo es sich um Minderleister handelt, führt die Bezeichnung nicht in die Irre – so weit, so gut. Das Problem liegt darin, dass die Wortbedeutung verallgemeinert für die Störungsentwicklung von hochbegabten Kindern verwendet wird und damit die Minderleistung zum kennzeichnenden Merkmal erhebt. Das geht an der Realität vorbei. Die “Minderleister” unserer Förderschule – so von Schulpsychologen und Sozialarbeitern genannt – sind zum Teil Hochleister, aber doch Kinder mit Störungen der Emotionen und des Sozialverhaltens. Das führt zu Mißverständnissen und zu einer leichtfertigen Reduktion des Problems auf den Leistungsaspekt, während die tatsächlich Betroffenheit der Kinder und ihrer Familien in der Störung des Zusammenlebens und in der riskanten Persönlichkeitsentwicklung des Kindes liegt.
      Smart Kids wird zwar als Bezeichnung der Hochbegabten verwendet, aber hier ist die Kritik aus meiner Sicht völlig berechtigt. Das Wortfeld enthält einige unpassende Zuschreibungen. Smarting Kids dagegen ist präziser. Tatsächlich weist Leo das Verb to smart nicht aus. In meiner Begründung für den Vorschlag, die Kinder smarting kids zu nennen, sind allerdings die Bedeutungsnachweise in Auswahl beigefügt. Hier hat Leo offenbar eine Lücke.

      • Hallo Herr Eckerle,
        wenn das Ziel ist, dass Stigma, welches dem Wort “Underarchiever” innewohnt und die Bedeutung von “smart kids” “umzuwidmen”, so stellt sich mir die Frage, was ist das Ziel ?
        Wenn das Ziel ist, eine bessere Bezeichnung zu finden so stelle ich mir vor, dass es besser wäre eine neuen Begriff einzuführen als “smart kids” abzuwandeln.
        Leo kennt das Verb “to smart”. Lt. Oxford Dictionary ist der Ursprung von “smart” das deutsche “Schmerz”.
        Wäre smarting stärker als suffering ?
        Würde es die Bedeutung nicht zu sehr auf “schmerzen”, “leiden” verschieben ?
        Aber, ich bin kein Englisch- noch in dem Zweig engl. Fachsprachexperte.
        Ich frage mich nur, ob die Abwandlung von “smart” zu “smarting” die gewünschte Wirkung erzielen kann.
        Und, ehrlich, es sieht und hört sich “strange” an und ob sich der feinsinnige Unterschied der Zielgruppe ( wer ist das ?) wirklich erschliesst ?

        • Sie fragen nach dem Ziel und vermuten das Richtige:Hochbegabte Problemkinder von der gemeinsamen Lebenssituation aus zu bezeichnen und nicht von einem isolierten Aspekt aus. Geht man ganz aus der eingeführten Wortumgebung raus, wie etwa bei suffering kids, dann wäre das vermutlich befremdlicher – und könnte als Dramatisierung missverstanden werden. Unsere Erwartung ist, dass, wenn der Begriff angenommen wird, die philologische Verwunderung zurücktritt und der Gegensatz von smart und smarting inhaltlich durch die Zuschreibung gefüllt wird: handlungsmächtig versus hilflos.

  2. Jördis Kummerländer 7. März 2013 at 21:56

    Ich finde “smarting” äußerst gut, da es denn Sinn genau trifft: diese Kinder und Jugendlichen müssen regelmäßig mit Kränkungen und Ungerechtigkeiten leben und leiden darunter besonders, da sie meist auch hochsensitiv sind. Sie fühlen jede Enttäuschung, jeden Schmerz ungleich intensiver. Mein Oxford Advanced Learner’s Dictionary bietet mir dazu an “to feel upset about a criticism, defeat, etc.” und das ist es doch. Es sind die vielen kleinen, aber leider sehr weitreichenden Enttäuschungen, die zu inneren und äußeren Konflikten führen.
    Allerdings würde ich statt “kids” eindeutig “youths” verwenden, da es sich überwiegend nicht mehr um Kinder handelt und man dieses Entwicklungsstadium viel eher mit dem Leiden unter ungerechten Umständen etc. in Verbindung bringt.

  3. Mir springt die Frage in’s Auge: wenn es diesen Kindern (was für ein Etikett auch immer sie bekommen ;-) ) sowohl zu Hause als auch in der Schule schlecht geht, warum gibt es dann keine Orte, wo diese Kinder aufgefangen werden? Durch eigene aktuelle Erfahrungen mit dem Thema Schulverweigerung und etlichen Gesprächen mit anderen Müttern bin ich entsetzt darüber, dass der einzige Ort die Kinderpsychiatrie ist, die man “im Angebot hat”. Auf dem Weg dorthin dann das nächste Etikett: AD(H)S, Autismus (gerne mit Asperger Syndrom) … was für ein Wahnsinn, in meinen Augen!!!

    Ich würde mich gerne dafür engagieren, dass Kinder Orte aufsuchen können, wo ihnen ein “positives Etikett” (wenn überhaupt) verpasst wird ….

    Herzliche Grüße aus Düsseldorf,
    Ulrike Sennhenn

    • Liebe Frau Sennhenn,
      wir sehen das genau so und sind dabei, einen solchen Ort zu schaffen – mindestens im Rhein-Main-Gebiet. Aber auch dabei zeigt sich, dass diese Kinder keine Lobby haben.
      Die gewohnheitsmäßigen Einschätzungen, dass riskante Episoden während der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen therapeutisch und oft genug unter Einsatz von Medikamenten zu behandeln seien, bestehen fort, leider oft auch in Schulen. “Gesunde Kinder in schwieriger Situation” – dieser Ausgangspunkt des IGL bei jeder Hilfeplanung beginnt mit der Suche nach Passungsproblemen und deren Behebung. Nur bei einem geringen Prozentsatz muss nach der diagnostischen Arbeit dann psychiatrische Hilfe angeraten werden.
      Viele Grüße nach Düsseldorf

    • Das sehe ich auch so. Leider musste ich auch dreimal diese schrecklichen Erfahrungen mit meinen hochbegabten Kindern machen. Traurig das Hochbegabte erst in der Psychatrie landen müssen und in diesem Bildungssystem zu sozialen Krüppeln gemacht werden.
      Traurig, dass Schulleiter und Lehrer nicht aufgeklärt sind. Selbst wenn sie über die Hochbegabung der Schüler Bescheid wissen, interressiert es sie nicht und diese Schüler werden in diesem Schulsystem immer weiter abgestuft anstatt gefördert. Warum müssen sie unnötige Wiederholungen von Klassen über sich ergehen lassen, wenn die Psychologen ein Überspringen anraten. Nein. lieber zerstört man diese Menschen und macht sie psychisch krank. Für Lernschwache gibt es genug Angebote, aber Förderangebote oder Hilfen für Hochbegabte muss man teuer bezahlten.Leider können das nicht alle. Also bleiben die wieder auf der Strecke, die das Geld nicht dafür haben. Traurig, dass dieses Bildungssystem von dem Einkommen der Eltern abhängig ist. Jeder hat doch ein Anrecht auf die Bildung die er benötigt und Hochbegabte brauchen nun einmal mehr Anforderung. Nicht der Schüler muss der Schule gerecht werden, nein die Schule sollte doch dem Schüler gerecht werden. Warum findet man hier keine Lösung. Selbst wenn ein Gutachten vorliegt, wird diesen Schüler der Weg zum Abitur verbaut. So etwas dürfte nicht passieren. Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Ich habe diese Odysee mit drei Kindern durchlebt. Mir fehlen wirklich die Worte für die Vorgehensweisen an den Schulen in Bezug auf Hochbegabung.Die Klinikaufenthalte für diese Menschen und was noch alles damit zusammenhängt wenn ihnen nicht geholfen wird ,sind teurer als die Förderung an den Schulen. In 22 Jahren habe ich nicht gemerkt das sich etwas ändert, es wird wohl noch Jahrzente dauern, bis sich etwas bewegt. Internate für Hochbegabte sind auch unbezahlbar und die Jugendämter übernehmen nichts. Traurig aber wahr.
      Herzliche Grüße aus Leverkusen

  4. Ich muss noch etwas hinzufügen. Hochbegabung sollte eigentlich eine schöne Gabe sein, doch leider sehen es meine Kinder als Behinderung an. Meine Enkeltochter ist nun 6 Jahre alt und wir wünschen uns für sie, dass sie nicht hochbegabt ist, obwohl alle Anzeichen dafür da sind. Sie wurde nun eingeschult und ich hoffe sehr, dass sich mal bald etwas in diesem Bildungssystem in Bezug auf Hochbegabung ändert. Es ist wirklich schrecklich nach all den schlimmen Erfahrungen der letzten 22 Jahren mit drei hochbegaten Kindern (sogenannten Underachievern), ein weiteres, noch fröhliches, intelligentes Kind in dieses Schulsystem zu stecken. Wenn ich könnte, würde ich nur noch eine Privatschule wählen, doch leider sind diese mal wieder unbezahlbar. Hoffentlich wird diese kleine Kinderseele nicht wieder durch die Unterforderung zerstört. Warum kann man mit den Gutachten nichts an den Schulen erreichen? Es müsste doch Pflicht für die Schulen sein, diese Kinder zu unterstützen und nicht sie fallen zu lassen.

  5. Ja, das passt. Bei unserer Tochter war in der 2. Klasse die Schulangst und jetzt in der 5. Klasse der Leistungseinbruch. Und ich glaube auch, dass es ihr damit nicht gut geht. Doch, was mir wie immer bei diesem Thema fehlt, sind Lösungsansätze.

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